Wolfgang Haffner All Star Quartet in Karlsruhe

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Sonntag, 06.03.2016, 19:45 Uhr – Tollhaus Karlsruhe

Nachdem ich endlich mal pünktlich in Karlsruhe angekommen bin, habe ich meinen Platz am Notausgang bezogen und schreibe im Wissen, dass man Musik eigentlich nur hören sollte. Da ich aber Spaß daran habe über Konzerte zu schreiben, hier mein Bericht:
Auf der Bühne sind die Instrumente in folgender Weise aufgebaut:
Das Schlagzeug steht in der Mitte.
Links davon der Kontrabass und Gitarre, rechts davon das Vibraphon.
Es beginnt mit Beckenwirbeln die mit elektronischen Echos verfremdet sind.
Dann der Einzähler und auf die „1“ gehen die Lichter auf der Bühne an und ein grinsender Wolfgang Haffner begrüsst sogleich das Publikum während des Spielens mit einer freundlichen Handgeste.
Ein sehr entspannter Soul-Funk-Groove von Bass und Schlagzeug eröffnet das Konzert. Sofort fällt der exzellente Sound auf: Transparent und gleichzeitig warm in allen Frequenzbereichen, sehr lebendig, hält er auch einer höheren Dynamik stand.
Unter das erste Vibraphonsolo mischen sich kurze Gitarrenakkorde.
Wolfgang Haffner spielt Besen. Christopher Dell gibt am Vibraphon schon jetzt alles. So wie der ihm nachfolgende Solist und Special Guest Ulf Wakenius an der Gitarre, nimmt er immer wieder Augenkontakt mit seinem Bandleader am Schlagzeug auf. Jetzt kommen wieder die Vibraphon-Akkorde hinzu.
Stöcke. Pumpender Bass. Ride. Four-Four Drums und Gitarre. Applaus! Thema. Red-Baron-Groove. Nice. Break ins Leise.
Mit dem letzten Ton der Bassdrum erlischt perfekt abgestimmt, die im Wesentlichen aus sechs aufgespannten Schirmen bestehende Bühnenbeleuchtung.
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Verschnaufpause Fehlanzeige: Der nächste Song nimmt den Flow auf, ist aber weniger straight: 6/4- Groove dessen Bassdrums auf „1“ und die „+“ der 2 gespielt werden. Wechsel des Schlagzeugs ins Double-Time-Feel. Dann das Thema unisono von Gitarre und Vibraphon.
Bass Solo von Ingmar Heller: Ein einzelner runder und voller Klangcharakter über alle Tonlagen. Vibraphonsolo aus niedrigster Dynamik heraus. Es wird leicht schneller. Dann noch mehr. Besen auf Snare mit Snares off. 16tel steigern rhythmisch, dann steigert sich die Dynamik.
Mit der Höhepunkt und Ende des Vibraphonsolos hellen die Lichter auf.
Stöcke. Gitarrensolo. Yeah!
Schnelles Ride. Kurzfristiger ECM-Sound.
Unisono-Einsätze. Das Schlagzeug schaukelt sich auf. Ende. Doch nicht. Drumsolo! Wechsel in 12/8-Afro. Buzz Roll. Drei atmende Schläge zum Ende. Genial.
Launige Ansage von Wolfgang Haffner. Er begrüsst besonders Frau Hobel, die ihm vor seinem letzten Gig in Karlsruhe einen Anzug verkauft hat. Er wollte sie einladen, konnte sie Sonntags aber nicht erreichen. Nun ist sie von sich aus erschienen und in der ersten Reihe anwesend. Sie wird im Laufe des Abends in bester Show-Manier von Wolfgang Haffner einbezogen werden.
Jetzt stellt Wolfgang Haffner die Musiker vor. Ausladender Applaus für jeden einzelnen Musiker in dieser exzellent besetzten Band.
Er erwähnt, dass das letzte Album Kind of Cool sich 10.000 mal verkauft hat (Haffner: „…wie geschnitten Brot…“) und somit Goldstatus erreicht hat.
Haffner erläutert weiter, dass sie sich in der Band überlegt haben, ob sie mit den Songs des Albums etwas besonderes anstellen wollen, dann aber beschlossen diese so zu spielen „wie sie sind. Wir spielen sie einfach.“
Sie spielen ja „Nummern die man eigentlich nicht mehr spielen will“.
Dazu gehört auch das nächste in vielen Sessions manchmal besser manchmal schlechter gespielte Stück So What.
Es geht los:
Besen. Bassthema.
Dann verlässt Wolfgang Haffner seinen Platz am Schlagzeug und hört gemeinsam mit Christopher Dell Bass und Gitarre bei ihrem Spiel zu: Walking Bass und Gitarren-Improvisation. Wolfgang Haffner steigt wieder ein. Uhrwerk-Swing-Loop ohne Sperenzchen. Unisono-Akzent. Sticks. Vibraphon-Chords. Bass und Drums powern, coasten für die Sologitarre. Die Sitzreihen vor mir bewegen sich. Ziel schon jetzt erreicht :-) Vibraphonsolo. Mit einer Dreierverschiebung in Vierteln bereitet Wolfgang Haffner einen kurzen Stop vor: Perfekt zusammen gespielt von Bass und Schlagzeug.
Kurze dezente Anweisung von Wolfgang Haffner an Ulf Wakenius, Christopher Dell noch einen Chorus mehr spielen zu lassen, denn Dell entfesselt eine mitreissende Energie. Einer der Momente, wenn man sich fragt: Wo soll das hinführen? Und er schafft noch weitere Steigerungen in Motivik, Rhythmik und Ausdruck. Wow!
Drumsolo. 8-8 mit bass dann 4-4 und 2-2. Spaß auf der Bühne. 4 Takte Drums. Thema. Wolfgang Haffner zeigt auf Ingmar Heller am Bass und verschafft ihm einen (noch stärkeren) Zwischenapplaus. Weiches Ende.
Diesem Standard wurde Leben eingehaucht. Und wie.
Es folgt Love is real von Esbjörn Svensson.
Sinnierendes Gitarren-Intro. Der Schmerz über den Verlust des Pianisten ist greifbar. Es klingt, als würde ihm ehrenhalber Platz gelassen in der Interpretation seiner Komposition. Leere im Groove. Halbe Noten.
Wolfgang Haffner spielt „Bumm-Tschack“ mit Besen, wie unter Wasser. Halbe Noten von Bass und Vibraphon verleihen dem Stück Schwere. Die Gitarre erzählt ihre Geschichte. Die Musiker spielen „on the edge“ und mit vollem Risiko, wenn ihre gemeinsamen Akzente – ohne Vorbereitung durch das Schlagzeug – gesetzt werden. Grandios spannende und dichte Kammermusik mit einfachen Mitteln könnerhaft erzeugt.
Haffner nimmt ein Tuch vom Hängetom und es beginnt das nächste Stück mit den Händen auf Snare und kleinem Tom spielend. Ein 6/4-Latin.
Fliegender Wechsel auf Stick. Ride. Ein Gitarrensolo, das einen großen Bogen spannt. Reduziertester Groove. Thema von Gitarre und Vibraphon. Bass: Lange Töne. Besenabschlag. Paukenwirbelbecken. Das war „Django“ des Modern Jazz Quartett.
Wolfgang Haffner stellt die CDs und Schallplatten vor, die es im Foyer zu kaufen gibt. Darunter seine erste Platte und Exemplare eines eigentlich ausverkauften Albums, die er beim Umzug gefunden hat.
Jetzt das Zoe Zawinul gewidmete Star von Wolfgang Haffner.
Ein Last Train Home– artiger Besengroove. Akzentuierte Unisono-Schläge. Schneller Bass. Unvermitteltes Anziehen des Tempos. 16tel-Läufe am Vibraphon. Wolfgang Haffner treibt an. Spielfreude auf der Bühne. Vibraphon wechselt zwischen Tonwiederholung, wilden Läufen und Akkord-Sprengseln. Wie „ein Mann“ beenden Christopher Dell und Wolfgang Haffner das Solo.
Im Gitarrensolo sieht es so aus als ließe Haffner Ulf Wakenius extra zappeln, bis er endlich in den schnellen Swing wechselt.
Gitarrensolo. Applaus. Genial.
Marsch-artiger Einstieg ins Schlagzeugsolo. Akzente im Flow aus Double Strokes ergeben Melodien. Stöcke wegschmeissen. Besen. Runterkochen. 16tel. BD- Thema. Tom-Antwort. Reduktion. Aufbau. 16tel auf Snare. Das Thema muss kommen. Es kommt. Wieder volles Risiko: Alle Thementöne unisono inklusive Drums. Alle sind dabei. Toll. Coda. Mächtiger Schluss.
Ab in die Pause.
Der zweite Teil des Konzertes beginnt mit Summertime von George Gershwin
Gitarre und Bass spielen ein Riff unisono. Das Vibraphon spielt das Thema an. Die Gitarre übernimmt es bestimmter in typischer Oktav-Spielweise. Vibraphonsolo. Simpelster Swing-Besen-Groove. Reine Viertel im Bass. Keine Zwischenschläge. Es marschiert. Wechsel zu Stöcken. Christopher Dell stampft ein paar Viertel auf dem Boden mit.
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Spannend: Ulf Wakenius fordert – quasi durch die Art seines Spieles – die double time ein. Wolfgang Haffner fällt zwar für ein paar Takte in ein Double-Time-Feel auf dem Ride. Die Hihat bleibt aber auf der ursprünglichen „2“ und „4“. Weicher Abschlag. Bass-Solo. Sanfte Besen. Die Bassgeschichte entwickelt sich. Ausgesuchte begleitende Akkorde vom Vibraphon. Besen auf Ride. Hand auf Snare. Stop. 4 Takte Bass-Break. Double time der Hihat aber diesmal bleibt das Ride in seinem Tempo.
Das Riff von Bass und Gitarre. Thema vom Vibraphon mit ad libs.
Coda. Der einzige Schlusston hebt Wolfgang Haffner aus dem Sitz.
Alle Musiker werden vorgestellt, Fr. Hobel erwähnt und der Drum Circle Karlsruhe vorgestellt und als exzellente Schule für Schlagzeug gelobt. Dort fand am Nachmittag ein Workshop mit Wolfgang Haffner statt.
Dominik Arnold aus Schwäbisch Gmünd wird für den Sound gelobt und für die sensationelle Lichtshow Chris Stürz.
Ulf Wakenius tourte jahrelang mit Oscar Peterson und schrieb das folgende „Blues for Oscar“ welches ihn auch featured. Er spielt cool und fliessend behende. Christopher Dell hat Pause. Von Besen auf der Snare wird zu Sticks auf Ride und Snare gewechselt. Trio-Swing in bester Manier. Das gesamte Publikum ist in Bewegung und beklatscht begeistert den Höhepunkt des Gitarrensolos.
Bass-Solo und Drums in perfekter Einheit.
4-4 zwischen Drums und Gitarre. Man schaukelt sich gegenseitig auf der Bühne hoch und hat sichtlich Freude dabei. Melodisches Drumsolo. Man hört das Thema durch.
Der Song wechselt in ein funkiges Gewand. Break. Gitarre alleine. Schluss.
Ansage: Es macht ihnen Spaß in Karlsruhe zu sein. Als sie heute ankamen: „Ah, endlich wieder Tollhaus. Vielen Dank an Bernd und das Tollhaus“.
Jetzt ein Vibraphonsolo. Ein Solo über ein Thema? Es klingt anfangs so.
Christopher Dell spielt seine perlenden Läufe auch ins extrem leise. Er singt und summt mit. Kurz gesagt: Er macht eine Kiste auf aus kreisenden-sprudelnden sich übertrumpfenden Läufen. Diese Münden in Tenuto-Tönen, die ins sphärische abgleiten. Das Vibrato kommt hier einmal kurz als eingeworfener Effekt hinzu. Geschmackvoll.
Wolfgang Haffner klinkt sich leise mit einer Logdrum ein. Er liefert die zweite Ebene. Der Bass blendet sich ein. Das Tempo verlangsamt sich zum Ende.
Die Drums setzen ein mit einem „löchrigen“ Groove. Wolfgang Haffner zeigt manchmal nur den Rhythmus mit seinen Bewegungen, spielt aber nicht alle Töne, die möglich wären.
Fast steht die Musik still. Die durch die Instrumente hindurch verschachtelten Pausen ergeben hier den Reiz der Komposition. Es wird auf das Äusserste ausgedünnt und nur noch die absolut notwendigen Töne für das Gerüst des Stückes gespielt.
Die brüchige Melodieführung der Gitarre lässt die Verbindungen der Töne untereinander fast abreissen. Das Vibraphon übernimmt die Melodie dieser am Abgrund segelnden Komposition. Die Musiker schaffen es, die Spannung aufrecht zu halten. Für mich das Highlight des Abends. Ich habe Zeit zu hören. Wolfgang Haffner zelebriert zum Ende hin das Reduzierte seines Grooves. Fliessende Bewegungen mit den Filzschlägeln unterstützen den Rhythmus. Bedacht füllt er auf, schafft einzelne Verbindungen. Reisst ein Becken-Crescendo ab. Ein Wirbel aus Doppelschlägen auf der Snare schwillt an und ab und verlangsamt sich im Ausklingen.

Beim nächsten Stück wirft Wolfgang Haffner die Stöcke weg und animiert das Publikum zum Mitklatschen. Die soulige Motown-Nummer groovt ebenfalls heftigst und lappt voll ins funkige hinüber. Wolfgang Haffner hält die Spannung hoch und köchelt mit Bassist Ingmar Heller am Groove. Christopher Dell geht ab! Anders kann man es nicht bezeichnen. Breaks für ein typisches Haffner-Drumsolo in der am heutigen Abend höchsten Dynamikstufe und mit wohl gesetzten Pausen. Das Stück bildet den absoluten energetischen Höhepunkt des Abends.
Applaus-umtost verlassen die Musiker die Bühne.

Sie kehren für eine Zugabe zurück.
My Funny Valentine widmet Wolfgang Haffner „Allen, die in letzter Zeit von uns gegangen sind, mit einem der schönsten Stücke, die je geschrieben wurden“.
Reduziert und zerbrechlich-statisch spielen sie diese Musik.
So geht das Konzert zu Ende.
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Wolfgang Haffner spielt so, wie er es im Workshop am Nachmittag besprochen hat. Die Ziele sind Klarheit, dynamische Spannung, melodisches Spiel. Nach dem Konzert wird klar: Bei ihm sind Intention und Ergebnis deckungsgleich.
Ein Musiker, der viel in der Welt unterwegs ist und mit den unterschiedlichsten Musikern zusammenspielt – live und im Studio. Ein menschlich sehr angenehmer Zeitgenosse der nicht nur über Begegnung auf Augenhöhe spricht, sondern sich auch bemüht sie sofort selber herzustellen.
Ich bin gespannt auf Wolfgang Haffners zukünftigen musikalischen Output.

Nicolas Unger
www.nicolasunger.com

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