Workshop mit Adam Nussbaum
Als der Workshop beginnt, betritt ein gut gelaunter Adam Nussbaum die Bühne im drumladen. Er ist ein umgänglicher Typ und steht für Jazz- und Fusion-Drumming auf höchstem musikalischem Niveau. Er fordert aber auch seinem Publikum einiges ab. Als dieses seinen Anforderungen nicht vollends gerecht zu werden scheint, verfinstert sich seine ansonsten gute Laune zwischenzeitlich. Doch dazu später mehr.
Jetzt erst einmal zu den Themen, wie sie Adam Nussbaum angesprochen hat:
HÖREN
Adam Nussbaum verwirrt kurz das Publikum nach seinem einführenden Solo mit der Frage „What did you hear at first – even before I played?“ Was hören wir – sogar bevor er beginnt zu spielen? Sound! Du hörst die ganze Zeit, sogar bevor jemand anfängt Musik zu machen. Erst danach achtest Du auf die anderen Dinge: Mag ich das Feel des Musikers, seinen Groove etc.
Und wenn es Dir nicht gefällt, was Du hörst: Höre trotzdem genau zu! Du lernst davon so oder so, so Nussbaums Tipp.
Die interessanteste Frage, die Du dir stellen solltest, wenn Du einem Drummer zuhörst, ist: WARUM spielt er das? Dafür musst Du aber auf die gesamte Musik hören und nicht nur auf den Drummer. In der Musik liegt die Antwort verborgen.
Spiele nicht mit Ohrstöpseln in den Ohren! Wenn es Dir zu laut ist – lerne leiser zu spielen! (so Nussbaums Meinung). Gleichzeitig sollst Du aber trotzdem intensiv spielen können. Das ist dann das schwierigste: Leise und intensiv spielen zu können.
Wenn Du mit Sänger/Sängerin spielst, spiele es nicht kaputt! Gehe aus dem Weg, wenn gesungen wird. Beim Luftholen der Sängerin/des Sängers kannst Du eine „Minisache“ an der richtigen Stelle spielen.
Lerne zu verstehen, wie Dein Spiel für das Publikum klingt!
VORSTELLUNGSKRAFT
Er erzählt die Anekdote von Luis Armstrong, der mit einer mittelmäßigen Band spielt und dennoch fantastisch klingt. Auf die Frage, wieso er so gut geklungen hat, antwortete dieser, dass er mit seiner eigenen Band im Kopf zusammengespielt habe.
SOLO
1% der Zeit spielst Du als Schlagzeuger Solo, 99% der Zeit sind für Dich Spielen und Hören.
Wenn Du Solo spielst, spiele nicht irgend etwas kompliziertes. Denke an eine Melodie und entwickle Dein Spiel von da aus weiter. Ein Solo von Adam als Beispiel.
TIMING
Er spielt nicht zum Klick. Er wird gebucht wegen seiner Time!
Spiele Deine Time! Es ist nicht Deine Aufgabe z.B. einen schlampigen Bassisten gut klingen zu lassen. Das ist sein Problem.
Er musste die Exaktheit erst erwerben.
PHRASIERUNG
Adam Nussbaum erzählt die Geschichte, dass Little Richard von seinen Drummern nicht den Shuffle hören wollte. Sie sollten seine linke Hand (am Klavier) mit geraden Achteln auf der Hihat begleiten. Aber seine Blues- und Shuffle-Drummer haben das nicht ganz exakt gerade gespielt. Es lag zwischen binär und ternär. Er nennt das den „Grey Space“ und ergänzt: „That´s where it gets interesting!“
Über das Spiel auf dem Ridebecken im Jazz sagt er: Die Viertel können bei unterschiedlichen Drummern an der gleichen Stelle gespielt sein, aber der Zwischenschlag (engl. „tu“) kann sehr unterschiedlich platziert sein.
LERNEN
Wie wir Menschen lernen: Wir lernen das Laufen nicht durch das Lesen eines Buches. Wir sehen jemand anderen Laufen. Dann wollen wir es auch tun. Wir versuchen es und fallen hunderte Male hin. Aber wir machen weiter (= Durchhaltevermögen) und am Ende können wir laufen.
Sein Tipp für die Musik: Mache das nach, was Du hörst. Versuche so zu klingen und mache dann Dein eigenes Ding daraus (gehe also Deinen eigenen Weg).
„See the old ones first.“
FEEL
Die Musik hat viele Aspekte wie Gehirn, Finger, Lesen, Koordination etc., aber das wichtigste sind „Spirit, Feel and Soul – whatever you might call it“.
RECORDING
Der Trend geht momentan zum analogen Sound (auch mit warm klingenden Bändchenmikrofonen) als Gegensatz zur kristallklaren digitalen Aufnahme. Aber wie mit jedem Trend: „It´s going in circles“, sprich irgendwann ist das Andere wieder der Trend.
ERFAHRUNG
Aus Misserfolgen kannst Du das meiste lernen, z.B. wenn eine Band Dich rauswirft und Du dieses Ereignis in etwas positives für Dich selber verwandelst.
Erfahrung kannst Du nicht lernen. Sie kommt mit der Zeit. Also begib Dich in unterschiedlichste Situationen mit den unterschiedlichsten Musikern.
PLAY-ALONGS
Spiele zu Songs, die kein Schlagzeug in ihrer Originalversion dabei haben, z.B. welche vom Nat King Cole Trio. Unzählige Songs ohne Schlagzeug (Stichwort „drumless“) gibt es im Internet. Spiele zu den Aufnahmen und unterlege bzw. begleite jeden Solisten mit einem speziellen Sound, mal Becken, mal Spannreifen der Snare, mal anderes Becken, mal Hihat usw.
Adam Nussbaum gibt hier einige praktische musikalische Beispiele u.a. zu einem Song von Ahmad Jamal.
FORM
Nun singt Adam den Jazz Standard „Doxy“ (von Sonny Rollins) vor und erklärt, dass es sich hier um eine AABA-Form handelt: Also Zwei mal den ersten Teil, einmal den zweiten Teil und noch einmal den ersten. Dann beginnt die Form von vorne. Er erwähnt nicht, dass am Übergang vom Ende des ersten zum Beginn des zweiten Durchganges der A-Teil drei mal vorkommt. An dieser Stelle straucheln dann auch Teile des Publikums. Ja, Mr. Nussbaum lässt die Teilnehmer des Workshops aktiv werden – wo wir schon mal alle da sind – und lässt einzeln (!) vorsingen: Pro Formteil einer aus dem Publikum, zuerst der Reihe nach, dann zufällig ausgewählt. Was sich in der Vorstellung schon unangenehm anfühlt wird in der Realität noch unangenehmer. Ich bereuhe es, mich in die erste Reihe gesetzt zu haben, bin auch gleich als zweiter dran. Ich bekomme meinen A-Teil ganz gut über die Runden. Doch es kommt wie es kommen muss: Jemand steigt aus. Adam hilft ein wenig weiter. Dann der nächste Aussetzer. Nun geht er auf den Teilnehmer zu und macht mit den zwischen eindringlich und bedrohlich gesprochenen Worten „PAY ATTENTION!!“ deutlich worum es ihm geht: Pass´auf die Form auf!! Konzentriere Dich auf die Form!! In der Haut des Teilnehmers möchte man dabei aber nicht stecken nicht stecken.
In der heutigen Zeit mit ständigen Ablenkungen, fällt es uns schwer uns über eine längere Zeitspanne auf eine Sache zu konzentrieren. Wir nehmen den Anderen nicht mehr war („head-down“) und laufen mit Scheuklappen durch die Strassen oder schreiben SMS beim Autofahren. Das sieht er als ein großes Problem.
Wir lernen und merken uns also: „You have to pay attention!“
SINGEN
Singe zu den Songs die Du spielst. Dann beginne mehr und mehr zu Deinem Singen zu solieren. Adam Nussbaum zeigt dies anhand des nun allen bekannten „Doxy“: Er spielt durchgehende Triolen. Dann legt er die Melodietöne als Akzente in den Triolenflow. Daraus entwickelt er dann ein kleines Solo in dem er die Akzente instrumentiert und die Melodielinien neu interpretiert.
„Sing the melody (of the tune) and you´re great! Who want´s to count? You don´t need to count!“
SPIELEN
„Play it – Don´t play at it“ Spiele es! – Spiele nicht (nur) etwas dazu“
„Play intense!“ – Spiele intensiv!
„Pay attention!“
„When you play – Play it!“
EINFLUSS
Als Kind hat er bei einem Konzert von Dizzy Gillespie „den Vibe“ gespürt. Er saß in der ersten Reihe.
JOB
Bezug nehmend auf sein Kindheitserlebnis: Er hat später mit vielen seiner Helden gespielt. Sie haben ihn engagiert.
BANDSPIEL
Gleich am Anfang: Zeige und verbreite gute Laune, das hilft dann der ganzen Band. Hier ein Beispiel für Adams positiven Vibe in einer Band.
JAZZ
Er mag das Improvisieren und die Freiheit das es ihm bietet.
SOUND
Bis in die 1950er-Jahre hinein gab es nur Naturfelle auf den Trommeln. Sie haben einen großartigen, vollen und warmen Klang. Sie sind aber sehr empfindlich gegen Umwelteinflüsse. Manche Trommeln hatten kleine Türchen, um Wärmelampen ins Innere zu stecken. Toms und Bass Drums wurden teilweise angefeuchtet um sie tiefer und fetter klingen zu lassen.
Die Haarfollikel der Kalb- und Ziegenfelle haben beim Wischen mit Besen den Sound gemacht. Beim Klangbeispiel mit einer alten Snare, kann das Publikum feststellen, dass es ganz anders klingt als ein modernes beschichtetes Plastikfell.
SPIELTECHNIK
Mit Besen spielt er horizontal rund. Das füllt den Space zwischen den Noten und verleiht ihnen mehr Bedeutung; ebenso den Pausen. Mit Stöcken spielt er auf Snare und Ride vertikal rund. Das macht den Sound locker und flüssig.
EQUIPMENT
Adam Nussbaum spielt heute das dritte Mal das Set auf seiner Clinic-Tour und weil er sich damit musikalisch ausdrücken kann, fühlt er sich sehr wohl damit.
Es geht in erster Linie um Dein Gefühl für Dein Instrument. Ein Becken ist Dein Orchester. Du musst wissen, wie Du die hohen, die tiefen und die mittleren Klänge aus ihm herausholst.
MEIN FAZIT
Mir hat der Workshop sehr gut gefallen, aber so ein Auf und Ab der Gefühle in einer Drum-Clinic habe ich noch nicht erlebt.
Adam Nussbaum machte für alle Teilnehmer eindrücklichst deutlich, weil er aus Erfahrung spricht: Wenn Du von der Musik lebst, dann ist es buchstäblich überlebenswichtig, absolut präsent und aufmerksam zu sein. Es gibt dann keine halben Sachen mehr. Das wird man von vielen Musikern so oder so ähnlich erfahren können aber spätestens an diesem Abend auch hautnah.
Danke an Rudi und sein Team für diesen inspirierenden Workshop!
Nicolas Unger
www.nicolasunger.com